Dieses kleine Büchlein gehört in den Kanon der deutschen Nachkriegsliteratur. Siegfried Lenz entfaltet hier in kurzen Geschichten seine ganze Erzählkunst und zaubert eine verlorene Welt herbei, die vor unserem geistigen Auge ein Idealbild der ostpreußischen Ländlichkeit und Bauernschläue entstehen lässt.
„So zärtlich war Suleyken“ erschien erstmals 1955, zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Verlustes der deutschen Ostgebiete. Doch seine Geschichten spielen gar nicht in jener Zeit, sondern reichen weit zurück in das unergründliche Blaugrün der masurischen Seele. Die Erzählungen von Hamilkar Schaß, dem Großvater des Erzählers, berichten von seinen vielfältigen kleinen und großen Abenteuern, die er stets mit einer Mischung aus Schläue und Gelassenheit meistert.
Siegfried Lenz bedient sich einer Sprache, die den Leser allein schon durch ihren umständlichen Duktus und die wiederholt seltsam anmutende Satzstellung in den Bann des fabulierenden Erzählers zieht. Wir hören, wie er, manchmal leicht umständlich, aber immer liebevoll und mit ganzem Herzen von seinem Großvater erzählt. Wir sehen uns mit dem Geschichtenerzähler in einer warmen Stube sitzend, das Feuer im Kamin wärmt den Raum, der Kerzenschein geht tapfer gegen das Dunkel der kalten Nacht vor den Fenstern an, und wir lauschen den Geschichten des Großvaters.
Diese atmosphärische Grunddisposition der Texte muss im von Armut und Trauer, Verzweiflung und Hoffnung, von Entwurzelung und Neuanfang geschüttelten Deutschland der Nachkriegsjahre auf einen fruchtbaren Boden gefallen sein. Die Erinnerung an schöne Kindertage vor dem Krieg und an eine glückliche Kindheit in der ostpreußischen Heimat, die nun für immer verloren ist, wird seinerzeit nicht wenig zum großen Erfolg dieses Erzählbandes von Siegfried Lenz beigetragen haben.
Aber auch heute noch, wenn jetzt aus Anlass des 50jährigen Verlagsjubiläums des dtv-Verlags „So zärtlich war Suleyken“ in einer hübschen, kleinformatigen Sonderausgabe erscheint, werden uns diese masurischen Geschichten von Hamilkar Schaß verzaubern. Denn der Autor verfügt über die seltene Gabe, mit wenigen, gezielt gesetzten Worten eine Stimmung zu erzeugen, die den Leser gefangen nimmt und fort trägt in eine Welt der Fiktion, die in ihrer Fiktionalität viel wirklicher ist als manche wahrheitsgetreue Schilderung der Realität.
Siegfried Lenz ist ein großer Erzähler, auch heute noch. Selbst wenn „So zärtlich war Suleyken“ vor über 50 Jahren erschien und wir die Trauer um die verlorenen Ostgebiete generationsbedingt überwunden haben, so unterhalten uns nach wie vor diese kleine Geschichten aus einer vergangenen Welt.
Autor: Siegfried Lenz
Titel: “So zärtlich war Suleyken”
Taschenbuch: 152 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423195053
ISBN-13: 978-3423195058
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