Daisy Miller ist eine junge unverheiratete, aber sehr hübsche Amerikanerin, die mit ihrer Mutter und einem geschniegelten Reiseführer mit bestem Benehmen namens Eugenio durch Europa reist. Wir befinden uns zeitlich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und bewegen uns in den besten Kreisen zwischen gehobenem Bürgertum und Adel, also in jener obersten gesellschaftlichen Schicht, die ihre Exklusivität durch die penible Einhaltung von Verhaltensnormen zu bestätigen sucht und sehr viel Wert auf ihre herausragende Sonderstellung im Angesicht des gesellschaftlichen Nebeneinanders legt.
Um es kurz zu machen: Daisy Miller und ihre Familie gehört dem zu jener Zeit besonders schnell wachsenden Stand der Neureichen an; ihr Vater ist ein sehr erfolgreicher Unternehmer, und die Familie lebt in Schenectady, einer Stadt im Bundesstaat New York, die besonders vom Fortschritt der Industriellen Revolution profitiert hat.
Durch die schnelle Industrialisierung zu Geld gekommen, reisen nun Mutter und Tochter mit ihrem kleinen Bruder Randolph durch Europa, um den Kindern eine entsprechend herrschaftliche Bildung angedeihen zu lassen und um sich in jenen gesellschaftlichen Kreisen zu bewegen, welche ihnen nach ihrer Ansicht als angemessen erscheinen.
Das Problem ist nur: Daisy Miller. So jung und hübsch die junge Dame ist, so unkonventionell ist ihr Betragen. Henry James lässt Mr Winterbourne, einen jungen und gut situierten amerikanischen Gentleman, in einem Schweizer Grandhotel auf Daisy Miller treffen. Von der ersten Begegnung an ist er von ihr fasziniert. Er wird ihr bis nach Italien folgen und erleben, wie Daisy von vielen Verehrern umgarnt wird, wie sie sich entgegen allen gesellschaftlichen Regeln allein mit einem Verehrer in aller Öffentlichkeit zeigt und immer mehr selbst kompromittiert.
Mr Winterbourne versucht einerseits, die junge Amerikanerin vor sich selbst zu schützen – und von der Verurteilung ihrer Person durch die gute Gesellschaft; andererseits ist er mehr als fasziniert von ihrer Unkonventionalität. Darüber hinaus wird er selbst immer wieder zum Objekt ihrer neckischen Spiele, so dass er hin und her gerissen ist zwischen Begehren und Enttäuschung, von Anziehung und Abstoßung.
Geschrieben im Jahr 1879, liest sich die Geschichte der Daisy Miller auch heute noch frisch und modern. Das liegt nicht zuletzt an der gelungenen Neuübersetzung von Britta Mümmler, die jetzt im Taschenbuch bei DTV erschienen ist. Ein kleines Stück Weltliteratur, welches uns die Licht- und Schattenseiten der schönen Welt der Upper Class im späten 19. Jahrhundert nahebringt.
Autor: Henry James
Titel: „Daisy Miller“
Taschenbuch: 128 Seiten
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
ISBN-10: 3423146532
ISBN-13: 978-3423146531